Kolosser 1, 1-2 (Präskript)

Paulus von Tarsus

Der apostolische Gruß.

V. 1. 2. Paulus, (ein) Apostel Jesu Christi durch den Willen Gottes und Bruder Timotheus, den Heiligen zu Kolossä und den gläubigen Brüdern in Christo: Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesu Christo *)

*) Die kirchliche Übersetzung entspricht dem Grundtext völlig; für die Auslegung ist nur zu bemerken, daß hagioi einen selbstständigen Begriff bildet, pistoi adelphoi aber zusammengehören, und daß das „in Christo" sich auf  „Heilige und Brüder" zumal bezieht.

Wie in allen seinen Briefen setzt Paulus auch hier seinen Namen voran. Mit dem Zusatz „ein Apostel Jesu Christi" bezeichnet er die Würde seines Amtes, eines Amtes, das an Hoheit und Würde in der christlichen Kirche nicht seinesgleichen hat. Denn Apostel heißen die Zeugen Christi, die ER selbst zu seinen Botschaftern und Stellvertretern verordnet und mit der Fülle seines Geistes sonderlich ausgerüstet hat: als solche stehen sie hoch über allen andern Predigern des Evangeliums und kommt ihrem Worte dasselbe Ansehen zu, wie dem eigenen Worte des Herrn: „Wer euch hört, der hört mich" (Luk. 10, 16). War nun auch Paulus nicht selbst ein Augenzeuge des Lebens und Wirkens Christi auf Erden, so hat ER ihn doch unmittelbar, persönlich zum Apostel berufen (Apostelg. 9, 5f.), — berufen zum Apostel der Heiden (Apostelg. 26, 18) „aufzutun ihre Augen, daß sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott, zu empfangen Vergebung der Sünden und das Erbe samt denen, die geheiligt werden durch den Glauben an Christus" — deshalb steht er den Zwölfen an Ansehen vollkommen gleich, wie er denn eben so viel, ja wohl mehr gearbeitet, auch mehr gelitten hat, als sie, vgl. 2 Kor. A, 20 — 31. Dieses sein Apostolat recht nachdrücklich hervorzuheben, setzt er hinzu: „durch den Willen Gottes", d. h. weder von Menschen noch durch Menschen, sondern von Gott selbst (Gal. 1, 11.12, 1. Kor. 1, 1). — Nicht ohne Grund sagt das der Apostel; er will damit seine Leser gleich von vornherein auf den rechten Standpunkt stellen, den sie seinem Brief gegenüber einzunehmen haben, er will sie erinnern, daß er auch hier in der Würde und Vollmacht eines Apostels rede und daß es deshalb ihnen zukomme, sein Wort in seinen Briefen mit Ehrfurcht aufzunehmen. Denn wo der Geist des Herrn durch den Mund eines Apostels redet, da muß der Mensch in Demut hören und unter das Zeugnis der Wahrheit sich beugen; er darf's nicht richten in eigener Weisheit, sondern hat sich davon richten und unterweisen zu lassen, auch wenn es die eigene Weisheit zur Torheit macht, oder dem Fleisch wehe tut.
Fassen wir diese Andeutungen in einen allgemeinen Gedanken, so haben wir: das Ansehen des apostolischen Worts, die Ehre, die ihm gebührt, den Gehorsam, den es fordert; oder: die apostolische Schrift in ihrer göttlichen Autorität.
„Und Bruder Timotheus." Das ist der bekannte, treue Mitarbeiter des Apostels, der sich in seiner Gefangenschaft bei ihm befand; sonst nennt er ihn seinen Mitknecht, oder seinen rechten Sohn im Glauben (1. Tim. 1, 2), hier Bruder, in demselben Sinne, wie alle anderen Mitchristen. Mit diesem Namen faßt er ihn gleichsam an der Hand und stellt sich mit ihm zusammen hinein in die ganze große Gottesgemeinde, von der er im Folgenden redet: Er, der hohe Apostel samt seinem Amtsgenossen Timotheus — recht zur Beschämung alles hierarchischen Hochmuts und vornehmen Amtsdünkels.
Die Leser des Briefs redet er als „heilige und gläubige Brüder in Christo" an (vergl. Eph. I, 1). Heilige, Gläubige, Brüder — mit diesen drei Worten bezeichnet er das eigentümliche Wesen des Christenstandes. Heilige sind sie, weil der Gemeinschaft der Welt und der Sünde entnommen; Gläubige, weil durch den Glauben des Heiles teilhaftig; Brüder, weil durch die Einheit Eines Geistes, Eines Hauses, miteinander verbunden; das Alles aber in Christo. Dieses „in Christo" gibt jedem von den Dreien seine nähere Bestimmung, wodurch sie erst den Charakter des Christlichen erhalten.
Der Name "Heilige" ist der höchste Ehrenname, den es für Menschen gibt, unvergleichbar höher, als alle sonstigen Titel und Würden, man könnte sagen: der vornehmste Name auf Erden und im Himmel; denn Heiligkeit ist das Prärogativ Gottes vor der Kreatur. ER heißt der Heilige, weil er, von allem Kreatürlichen und Unreinen abgesondert, der Erhabene, der Reine ist, das Licht, in welchem keine Finsternis ist. Wenn die Cherube seine Majestät schauen, so bedecken sie ihr Angesicht mit ihren Flügeln und beten ihn als den Dreimalheiligen an (Jes. 6, 2). Und nun sollen sterbliche Kreaturen, ja sündige Menschen „Heilige" heißen! Ist's nicht Vermessenheit von dem Apostel, seine Leser so anzureden, Vermessenheit von uns, diesen Ehrennamen zu führen (vergl. 1 Petr. 2,9)? Die Antwort und Erklärung gibt das: „in Christo." Es ist nicht die eigene Heiligkeit und Frömmigkeit, die sie besitzen, — auch des wiedergeborenen Christen Frömmigkeit hat ihre Flecken und Mängel, auch der Apostel, wenn er auf sein Selbstwerk sieht, muß noch bekennen: darin bin ich nicht gerechtfertigt; aber in Christo besitzen sie eine Heiligkeit, mit der sie sich sehen lassen dürfen vor Gott und Menschen. Das ist die Heiligkeit, die Christus selbst in seinem Leben, Leiden und Sterben bewährt, die vollkommene Gerechtigkeit, die er für uns geleistet und womit er der göttlichen genug getan hat: diese seine Heiligkeit teilt er den Seinigen mit durch Wort und Sakrament, näher durch die Berufung, die sie der Welt entnimmt, durch die Taufe, die sie reinigt und in seine Gemeinschaft versetzt, durch die Rechtfertigung, die ihnen seine Gerechtigkeit mitteilt. Um dieser Gerechtigkeit willen heißen sie Heilige, und dieser Name ist kein leeres Wort; sie sind es in Wahrheit vor Gottes Augen. Gott sieht das Bild seines Sohnes an ihnen, und deshalb ruht sein Wohlgefallen auf ihnen. Aber diese geschenkte, zugerechnete Heiligkeit Christi, soll ihnen auch Impuls zur persönlichen Heiligung werden, und gibt ihnen auch die Kraft dazu. Denn indem sie Christus in seine Gemeinschaft aufnimmt, teilt er ihnen zugleich den heiligen Geist mit, das wirksame Prinzip eines neuen Lebens. — Also: die hohe Würde des Christen; die dringendste Aufforderung zur Demut, aber auch zur Bewahrung eines guten Gewissens und zum Fleiß in der Heiligung; ihre ärgsten Feinde: geistlicher Hochmut und fleischliche Lust.
Heilige sind die Christen, weil sie Gläubige sind; denn durch den Glauben eignet man sich jene Heiligkeit an; doch verweilt der Apostel hier nicht länger bei diesem Gedanken, er eilt sogleich zu der weiteren Bezeichnung „Brüder" fort, um ihnen mit diesem Namen sein Herz aufzuschließen und sich der Glaubens- und Liebesgemeinschaft mit ihnen zu freuen. Es ist aber dieser Name nicht etwa nur ein bildlicher Ausdruck für das, was wir innige Freundschaft nennen, er hat eine realere, wesenhaftere Bedeutung, wie abermals der Zusatz „in Christo" lehrt. Denn darin liegt, daß Christus der Erstgeborene ist, der erste Sohn des Hauses Gottes, zu dem sich die Nachgeborenen, d. h. durch seinen Geist zu Kindern Gottes Wiedergeborenen, wie die jüngeren Brüder verhalten, die alle durch seine Vermittlung der Gotteskindschaft, des Kindesrechtes, der Güter und Ehren des Hauses Gottes teilhaftig sind; es ist ein Verhältnis gleich dem der Blutverwandtschaft, das zwischen Ihm und ihnen besteht. Daraus erklärt sich erst der tiefe, biblische Begriff der „Bruderschaft."
Auf die Anrede folgt der Segenswunsch: „Gnade und Friede." Derselbe Gebetswunsch steht an der Spitze aller apostolischen Briefe. Denn dies sind die beiden edelsten Güter, die es überhaupt für die Menschen gibt. Die Gnade ist die freie, unverdiente Liebe Gottes gegen die Sünder, die sündenvergebende Gnade, die uns Christus erworben hat. Aber diese Gnade schwebt nicht wie in jenseitiger Ferne über der Menschheit, gleichsam wie das Auge Gottes, das nur von Oben her auf sie herabsieht; sie läßt sich mitteilend auf sie herab, in täglich erneuter Sündenvergebung, in bewahrender, tragender, segnender Huld erweist sie sich an den Erlösten. Wie sie ihnen einmal den Himmel aufgetan hat, so hält sie ihnen auch den Himmel offen und lenkt die Ströme göttlicher Güte immerzu auf sie herunter. So, als Gnadenerweisung, meint es der Apostel, wenn er sie der Gemeinde anwünscht (vgl. 1 Petr. 1,2), und so meint es auch der sonntägliche apostolische Gruß. Es ist kein leeres Wort, er legt der Gemeinde die Gnade aufs Haupt und ins Leben hinein. Der Friede aber ist die selige Frucht dieser Gnade, als eines im Glauben angeeigneten Besitzes. Denn wer in Gnaden bei Gott steht, für den ist die alte Feindschaft, welche die Welt von Gott scheidet, die Sünde mit ihrer Schuld, und der Zorn Gottes wider den Sünder aufgehoben (dies die objektive Seite), und wer sich mit Gott versöhnt weiß, hat ein fröhliches Herz und ruht stillen Gemütes in seiner Liebe (die subjektive Seite). Und wie die Gnade eine stets sich mitteilende ist, so ist auch dieser Friede ein über das ganze Leben sich ausbreitendes Gut. Er bringt die rechte Harmonie in das außerdem so unruhige Menschenherz, er gleicht den Zwiespalt aus, in dem es sich mit Gott und mit sich selber findet, er stillt die Seele in den Stürmen des äußeren Lebens, selbst den Gegensatz zwischen der zweifelnden Vernunft und dem religiösen Gemüt gleicht er aus, weil dieser Gegensatz in der Gnade Gottes gelöst ist: so ist es in der Tat ein Friedensstand, den die Gnade im Menschen schafft. Alle anderen Güter des Lebens erhalten erst durch diese beiden ihren Wert, so wie alle Leiden des Lebens durch sie ihren Stachel verlieren, während ohne sie jedes irdische Gut zum Unsegen, jedes Leiden zum Gerichte wird. — Beide haben ihren Quell allein in Gott: „von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesu Christo." Gott ist die Fülle und Quelle Alles Guten (Jak. 1, 17), alle Segensbäche, die sich durch die Welt ergießen, haben in ihm ihren Ursprung. Aber in dieser Erkenntnis liegt für uns kein Trost, wenn wir diesen Gott nicht zum Vater haben.

Denn nicht darauf, daß wir irgendwie an seinen Segnungen teilnehmen, — an ihnen partizipieren selbst die Kinder des Zorns — sondern darauf, daß seine persönliche Liebe auf uns ruht, beruht unser Heil, unser Friede. Und eben diese Liebe ist in dem Vaternamen ausgesprochen, in ihm schließt sich, so zu sagen, Gottes Herz gegen uns auf. Unser Vater aber ist Gott nur in Christo. Daher setzt der Apostel hinzu: und dem Herrn Jesu Christo, oder wie es sogleich V. 2 und sonst gewöhnlich heißt: unserem Herrn Jesu Christo. Herr ist Christus, weil er uns erlöst und uns durch die Erlösung zum Eigentum erworben hat. Deshalb ist ihm die Herrschaft über die Menschheit von Gott übergeben, dergestalt daß diese hinfort nur durch Christum, durch die Vermittlung Christi im Verhältnis der Zugehörigkeit zu Gott dem Vater steht, mit anderen Worten, daß sie nur in Christo Gott zu ihrem Gotte hat. Ohne Christus ist Gott dem sündigen Menschen (nach Luther's treffendem Ausdruck) ein verzehrendes Feuer, dieser ein Kind des Zorns (Eph. 2, 3). Daher kommt Alles darauf an, daß wir hinwiederum Christi Eigentum sind. Diese vermittelnde Beziehung liegt in dem „unser" (V. 3). Unser Herr ist Christus, wenn wir ihn faktisch als solchen anerkennen, wenn wir uns ihm im Glaubensgehorsam ganz und völlig ergeben. Dann, und erst dann haben wir ihn zu unserm Herrn und in ihm Gott zu unserm Vater, im Vater aber das Herz der göttlichen Liebe. So wichtig ist dieses „Unser"; es ist das Band, das uns mit Christus und durch ihn mit Gott verbindet; die Bedingung, an welche der Besitz der Gnade und des Friedens geknüpft ist (vergl. Joh. 3, 36). — (Thomasius)

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